Bei meinem Aufenthalt in Palermo in diesem Jahr entdeckte ich etwas völlig Neues: la Stanza delle Meraviglie (das Zimmer der Wunder) – tatsächlich ein Zimmer voller Wunder. Auf meinem Weg dorthin, in die Via Porta di Castro, in der Altstadt Palermos, im Viertel Ballarò, sehe ich für einen kurzen Augenblick die roten Kuppeln der Kirche San Giovanni degli Eremiti – meine Lieblingskirche in dieser Stadt. Die Gasse, in der sich das Zimmer der Wunder befindet, ist sehr schmal, gesäumt von bescheidenen dreistöckigen Häusern, vor denen ein Auto hinter dem anderen steht.
Vor einem dieser Häuser warten einige Leute auf den Einlass. Ich stelle mich dazu, betrachte, um die Wartezeit zu verkürzen, das Haus daneben, das an einen offenbar sehr beliebten Schlüsselmacher erinnert. Endlich tritt eine kleine Gruppe aus dem Tor, und wir dürfen hinein. Wir steigen zwei Stockwerke hinauf – dann wird eine Tür geöffnet, und wir betrachten staunend ein Zimmer wie aus einem Märchen. Es ist ein nicht allzu großer Raum, in dem der Hausherr liebenswürdig seine Gäste begrüßt. Er beschreibt dann, wie dieses Zimmer bei Renovierungsarbeiten entdeckt wurde, als er und seine Familie diesen Palazzo erworben hatten.
La Stanza delle Meraviglie
Staunend, ratlos, fast hilflos betrachte ich die tiefblauen, nahezu schwarzen Wände, die mit silberfarbenen arabischen Schriftzeichen bedeckt sind. Dieses dunkle Blau wiederholt sich auch in der Decke, während der Fußboden mit hellerem Blau gefliest ist. Rätselhaft ist auch das an der Tür und an der Decke immer wiederkehrende Ornament. Welche Bedeutung hatte dieses Zimmer? Was sagen die Zeichen? Leider sind große Teile unleserlich, zerstört. Und die Renovierung kostet viel Geld. Eine Tür erstrahlt bereits in neuem Glanz, zu neu, wie ich meine.
Wozu diente dieses Zimmer? Es gibt verschiedene Deutungen. Es könnte ein Gebetsraum gewesen sein. Wissenschaftler der Universität Bonn entdeckten, dass die arabische Schrift, die ja von rechts nach links gelesen wird, bei einem Satz zumindest, auch von links nach rechts gelesen werden kann und dabei eine Aussage in lateinischer Sprache wiedergibt. Daraus schlossen die Wissenschaftler, dass sich hier vielleicht Freimaurer getroffen haben – auch sie benutzten dieses Verfahren. Dann könnte die Stanza delle Meraviglie ein Raum für Aufnahmeriten gewesen sein.
Nach ausführlicher Besichtigung dieses Zimmers zeigt uns der Hausherr weitere Räume, Wohnräume der Familie, die man bitte nicht fotografieren möge. Hier überraschen ein Jugendstilfries an der Decke und der Fußboden, dessen Fliesen zu großen Gemälden gelegt wurden, die zum Teil Kampfszenen zeigen. Während ich diese Räume betrachte, sehe ich vor mir wieder die so unscheinbare Fassade dieses Hauses – es gibt hier in Ballarò wirklich einen Ort des Wunders.
Informationen: Um dieses Wunder zu besichtigen, muss man einen Termin ausmachen und Eintritt bezahlen.
In der Via Porta di Castro 239
Reservierung: Tel. 329/8765958
www.terradamare.org/notte-blu-camera-delle-meraviglie
Text & Bilder: Ulrike Rauh
Erscheinungsdatum: 20.06.2018